Buchbesuch bei Nicole Wellbrock | Über Schönheit, Tod und alte Frauen, die auf Bäume klettern.

Erinnert ihr euch noch an Stefan? Den Kater in diesem wunderschönen Wohnzimmer, den ich euch auf Instagram gezeigt habe? Heute löse ich das Geheimnis auf um die Frau, die so schön wohnt und so lässig ist, ihren Kater Stefan zu nennen. Es geht um Schönheit, Tod und alte Frauen, die auf Bäume klettern. Wieder einmal ein ganz wundervoller und einzigartiger Buchbesuch auf der 100 Bücher Rallye!

 Nicole Wellbrock ist Schauspielerin, Vorleserin und Stimm- und Präsenztrainerin. Sie ist eine der witzigsten und weisesten Frauen, die ich kenne. Und ich liebe diese Kombination an ihr.

 Mein Besuch startet mit dem Thema Schönheit. Nicole lebt in Hamburg und lädt mich für das Gespräch in ihre Wohnung ein. Der beeindruckende Altbauflur lässt es vermuten: Ihre Wohnung ist wunderschön eingerichtet und hat einen ganz eigenen Stil. "Ich habe mal beschlossen, mich nur noch mit schönen Dingen zu umgeben", sagt sie und ich sehe, dass sie das ernst meint.

 

In der Küche gibt es warme Quarkbrötchen und selbst gemachte Feigenmarmelade und ich fühle mich sehr an einen britischen High-Tea erinnert. Passenderweise fällt mir gleich das Official Downton Abbey Afternoon Tea Cookbook ins Auge. "Ich liebe Downtown Abbey. Natürlich ist das trivial. Aber ich liebe die Ausstattung der Filme. Und Maggie Smith. Beim Zusammenlegen der Wäsche habe ich früher Downtown Abbey geschaut. Tja, da habe ich immer gerne viel Zeit mit der Wäsche verbracht."

 

Passend dazu sprechen wir über das zauberhafte Büchlein "Zum Tee" von Alan Bennet. Ein Buch mit grandiosen Kurzgeschichten aus den vermeintlich heilen kleinbürgerlichen Wohnzimmern Englands, zu dem sie auch schon Lesungen in einem der englischsten Orte Hamburgs gemacht hat, dem Eaton Place. Typisch Englisch handeln die Geschichten von handfesten Schrullen und waschechten Bösartigkeiten. Und natürlich vom zu Recht weltberühmten britischen Humor. Ich bin gespannt!

 

 

Die nächsten Bücher handeln von einem ganz anderen Gebiet. Von Angst, vom Sterben und vom (Weiter-) Leben nach dem Sterben. Kummer aller Art von Mariana Leky ist ein richtig gutes Buch. Es wirft ein ganz neues Licht auf das Thema Angst und den Umgang damit. Nicole liebt die Autorin dafür, dass sie uns dazu anregt, uns mit schweren Themen auseinandersetzen. "In den tragischen Themen hat Mariana Leky eine große Leichtigkeit, ohne dass es brutal wird. Sondern es wird erträglicher." 

 

Auch das nächste Buch ist von Mariana Leky. "Was man von hier aus sehen kann", ist Nicoles absolutes Lieblingsbuch und hat sie zu ihrem aktuellen Programm inspiriert: "Möge die Erde tanzen! Eine musikalische Lesung zum Thema Sterben, Tod und Weiterleben". Aber wie kommt man dazu, eine Lesung zum Thema Tod und Sterben zu halten? "Ich bin so aufgewachsen, dass Sterben ganz schrecklich ist. Aber es gehört doch zum Leben dazu! Sterben ist das, was das Leben so kostbar macht. Früher oder später kommt der Tod, das ist halt so."

In frühen Erfahrungen waren Beerdigungen grauenhaft für Nicole. Sie hat kaum Luft bekommen, konnte keinen Sarg sehen. "Beerdigungen waren schwarz und düster - alle wollten danach schnell wieder nach Hause und ganz normal weiterleben." Dass Abschiede auch bunt und tröstlich sein können, das hat ihr damals niemand gezeigt. Dabei ist ein bewusster Abschied so wichtig. Als eine Freundin starb und ohne Trauerfeier beerdigt wurde, fehlte Nicole dieser Abschied. Ihr Kopf wusste, dass die Freundin Tod ist. Aber sie konnte es nicht begreifen. "Dabei ist doch der Sinn einer Trauerfeier, dass wir begreifen können: Dieses Leben ist jetzt zu Ende."

Unsere Trauerkultur ist so verdrängend, was das Thema nur unangenehmer macht. Viele Jahre hat Nicole sich mehr und mehr mit Tod, Sterben und Beerdigungen ausgesetzt. Und mit jeder Erfahrung, jedem Todesfall aus ihrem Umfeld und jedem Buch schmolz das Grauen ein wenig. "Jetzt gehe ich sehr gerne zu Trauerfeiern. Weil ich es so wichtig finde, Abschied zu nehmen! Ich bin immer noch traurig. Aber mein Schrecken vor Tod und Beerdigungen ist vorbei." In dieser Zeit, in der Nicole Frieden gemacht hat mit dem Tod, las sie das Buch "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky. Als in einer Stelle beschrieben wird, wie ein Charakter aus dem Buch stirbt, erinnert Nicole das an den Tod ihrer Oma. So sehr und so plastisch, dass diese Szene die Initialzündung ist für ein eigenes Programm zum Thema Tod und Sterben. "Ich habe mich entschlossen, das Thema Tod weiterzutragen und publik zu machen. Weil ich es so wichtig finde, dass möglichst jeder einen guten Umgang damit hat."

Seitdem, das war im Jahr 2018, tritt Nicole immer wieder auf mit ihrem Programm "Möge die Erde tanzen! Eine musikalische Lesung zum Thema Sterben, Tod und Weiterleben". Und hilft uns damit, dem Tod das Schreckliche zu nehmen und Trost zu finden, auch im Abschied nehmen.

Diese Bücher empfiehlt Nicole, wenn wir uns mit Tod, Sterben und Abschied nehmen auseinandersetzen möchten:

  • "Was man von hier aus sehen kann" von Maria Leky
  • "Sie werden lachen. Mein Mann ist tot: Ein Überlebensbuch" von Petra Mikutta. Ein gnadenlos ehrliches Buch darüber, wie Petra nach dem Tod ihres Mannes wieder versucht, ins Leben zurückzukommen. Es hat Nicole vor allem die Angst genommen, trauernden Menschen zu begegnen.
  • "Fragen Sie Ihren Bestatter" von Caitlin Doughty ist ein spannendes Buch darüber, was zu Bestattungen dazugehört. Ein klarer, offener und liebevoller Einblick hinter die Kulissen dieses wichtigen Handwerks!

Das nächste Kapitel unseres Gesprächs handelt von einer weiteren Lieblingsautorin von Nicole. Eine lebenslustige und kluge Frau, die ihr alle kennt. Und die ihre ganz eigene Art hatte, auf das Leben zu schauen. Als sie mit 67 Jahren, bei einem Filmdreh über ihre Freundin Elsa einen Baum kletterte, fragte das besorgte Filmteam, ob das in ihrem Alter wohl eine gute Idee sei. "Es steht nicht in Moses' Gesetzen, dass alte Frauen nicht auf Bäume klettern dürfen", rief sie fröhlich zurück. Weisst du, wer das ist?

 

Richtig, das war Astrid Lindgren! Als Kind hat Nicole ihre Bücher nicht so gerne gelesen. Erst beim Vorlesen für ihre eigenen Kinder hat sie ihre Liebe für Astrid Lindgren entdeckt. Und all ihre Bücher gelesen (immerhin 34 Romane und 41 Bilderbücher). Eine wirkliche Kinderversteherin, die ihrer Zeit weit voraus war. Auch wenn ihre Bücher in einer anderen Zeit spielen, so sind ihre Werte aktueller denn je. Auch der Tod kommt darin vor, bei den Brüdern Löwenherz. Was wurde sie dafür angefeindet, das Thema Tod in ein Kinderbuch zu packen. Aber warum sollte der Tod für Kinder immer ausgeklammert werden?", sagt Nicole. "Sie kommen doch sowieso damit in Berührung. Klar ist es möglich, dass nach dem Tod etwas Neues kommt. Und es könnte doch so aussehen wie bei den Brüdern Löwenherz. Warum nicht?"

  •  "Die Brüder Löwenherz" von Astrid Lindgren

     "Alle ihre Bücher haben viel Tiefe und sprechen Themen an, die viel auslösen. Jedes Kind und jeder Erwachsene kann sich in einem ihrer Bücher wiederfinden. Astrid Lindgren gibt uns mit jedem ihrer Bücher die Möglichkeit, mit all diesen Themen umzugehen. Und das ist so toll und wertvoll an ihr."

     

     

    So ihr Lieben. Mit Astrid Lindgren und ihrer grandiosen Kletteraktion endet mein Besuch bei Nicole. So ein berührendes Gespräch über den Tod und das Leben - wie immer bin ich wahnsinnig dankbar für diese wundervolle Begegnung und diese tolle Mischung an Büchern. Ich freue mich sehr, wenn ich Nicole für euch in den Buchladen einladen kann. Bis das soweit ist, könnt ihr auf ihrem Instagram-Kanal vorbeischauen und sie mit etwas Glück live erleben...